Eine logische Konsequenz

Was der Amoklauf von Hamburg über missbrauchende geistliche Systeme verrät

Ein Gastbeitrag von Stephan Zöllner

Autor der Bibelarbeit.Info – Bibel lesen, lernen und leben.

https://bibelarbeit.info/geistlicher_missbrauch.php

Dieses Ereignis sollte uns eine deutliche Warnung sein.

Geistlicher Missbrauch ist kein Ereignis in irgendeiner frommen Nische. Sie hat Auswirkungen auf das ganze Leben und beeinflusst sehr viele Menschen. Ich beobachte seit Jahrzehnten die Zeugen Jehovas und habe nicht nur über sie gelesen, sondern auch Kontakte zu Aktiven und Ehemaligen teilweise intensiv gepflegt. Schon öfter saßen zwei nette Herren in meinem Wohnzimmer oder standen zwei Damen an der Wohnungstüre und wir haben uns ausführlich unterhalten. Ich kann grundsätzlich sagen: Bei dieser religiösen Konstruktion und Gruppe handelt es sich um ein systematisch religiös missbrauchendes System!

Das klingt sehr hart – ich weiß – aber das ist die Ursache für alle Probleme, die dort auftauchen.

  • Zuerst werden komplexe Fragen nach Gott mit über-vereinfachte Antworten – gewöhnlich durch Regeln! – gegeben. * Es werden ganz schnell Bibeltexte als Antworten zitiert und, wer die Bibel nicht wirklich kennt, der bemerkt nicht (kann nicht bemerken), dass er dabei systematisch hinter das Licht geführt wird. * Der sogenannte „Predigtdienst“, der genaugenommen die Mitgliederwerbung darstellt, ist wichtiges Zentrum des gehorsamen Dienstes für die Gruppe. Vorgegeben wird freilich, dies sei Dienst für Gott.
  • Alle Lehre dient der Macht innerhalb der Sekte. Kritische Fragen sind nicht erlaubt und werden systematisch sanktioniert.
  • In den angeblichen Bibelstunden / Versammlungen wird NICHT die Bibel studiert, sondern ausschließlich der Wachturm. Dabei zitieren die Antwortenden regelmäßig wörtlich aus den manipulativ und katechetisch aufgebauten Wachtürmen.
  • Die Isolation von der „Welt“ wird systematisch angeschoben und verstärkt. Die Mitglieder werden in ihren sozialen Bindungen zunehmend isoliert.
  • Solange du regelkonform funktionierst und keine kritischen Fragen stellst, ist alles OK. Gehst du aber über die Fragen im Wachturm hinaus in die Tiefe und fragst nach den Kerninhalten, dann wirst du mindestens komisch angeschaut. * Es gibt keine Seelsorge! Der häufigste Rat bei Problemen ist: „Gehe verstärkt in den Predigdienst!“ Das wird als Gehorsamsschritt gegen Gott und Allheilmittel angepriesen.
  • Anstelle der Seelsorge gibt es lediglich ein Rechtskommitee, das (angebliche) Fehler ahndet und vor das man zitiert wird, wenn man sich falsch geäußert hat (selber beginnt zu denken). Dort werden – wie der Name schon andeutet – „Rechtssachen“ verhandelt. Das meint, dort wird geregelt und erzwungen, was als rechtsgläubig zu gelten hat und wie der „Delinquent“ sich gefälligst zu verhalten hat.
  • Dabei wird relativ leicht mit Ausschluss gedroht. Das bedeutet für die Mitglieder die endgültige Vernichtung in Harmagedon und die totale soziale Isolation.
  • Die Bibelauslegung ist absolut willkürlich und gehorcht keiner Vernunft oder Logik. Das Auslegungsprivileg gehört einem Gremium in den USA, das einen Status genießt, der mit dem „Ex Cathedra“ des Papstes vergleichbar ist. * Eine Theologie der Angst vor Harmagedon. Harmagedon überlebt man nur als ZJ!
  • Strenge Hierarchie und Regelkonformität. Jegliche Wertediskussion ist unerwünscht!
  • Machtinteressen statt wohlwollender Hilfestellung. Die Seelsorge existiert nicht.
  • Es wird willkürlich aber systematisch mit zweierlei Maß gemessen.
  • Nicht die Gruppe dient dem Hilfesuchenden, sondern der Hilfesuchende wird systematisch für die Gruppeninteressen vereinnahmt.
  • Fragwürdigen Charakteren wird unbeschränkte Macht anvertraut!
  • Alle anderen religiösen Gruppen werden als „weltlich“ oder „abgefallen“ verstanden.
  • Die Gruppenmitglieder werden systematisch von ihrem Umfeld entfremdet, indem die regelmäßigen Versammlungen der ZJ und der Predigtdienst den Hauptteil der Freizeit einnehmen.

Effektive Zielgruppe bei der Mitgliederwerbung sind Menschen, die aus einem desolaten Umfeld kommen und stabile Werte und Regeln suchen. Das ist als ein Abschnitt auf dem Weg der gesunden Entwicklung ganz klar zu begrüßen. Die Heilsarmee setzt auch auf klare Regeln.

Problem bei den ZJ ist aber, dass das System nicht nur nicht offen, sondern sogar extrem geschlossen ist. Das bedeutet, die Menschen, die Hilfe suchen und im ersten Ansatz auch eine Regelorientierung finden, werden gezielt auf diese Entwicklungsstufe „festgenagelt“. Alles andere wird als Abtrünnigkeit oder Unglauben dargestellt. Sie werden also mit ihrem berechtigten menschlichen Anliegen im Stich gelassen und stattdessen systematisch ausgenutzt (versklavt).

Solche Gruppenkonstrukte ziehen machtinteressierte Menschen an.

Diese Charaktertypen suchen in solchen sozialen Gemeinschaften die Machtpositionen und nutzen diese für den eigenen Vorteil aus.

Das geht so weit, dass Berichte von Kindern, die von sexuellen Übergriffen handeln, nicht nur ignoriert werden, sondern das Kind wird beschuldigt, dass es den Ruf des Beschuldigten schädigt. Man beruft sich dabei auf einen Bibeltext, der 2-3 Zeugen für eine Aussage fordert. Dann werden die Eltern häufig der „Nestbeschmutzung“ beschuldigt und müssen quasi Buße tun. Selbst wenn von mehreren Kindern Berichte kommen wird NICHT gehandelt, sondern die Täter werden weiten durch den Missbrauch des Bibeltextes geschützt!

Hier kommen meiner Beobachtung nach sehr kritische Muster zum Tragen.

1. Willkürliche Bibelinterpretation durch Machtmenschen.

2. Das Fehlen von Empathie und Seelsorge. Es gibt kein spürbares Interesse an dem Menschen.

3. Das Mitglied dient der Gruppe.

4. Die Gruppe dient der Macht- und Selbsterhaltung.

5. Strenge Gesetzlichkeit: Regeln statt Werten.

Das sind bekannte Muster des Missbrauchs.

Verlässt jetzt ein Mitglied unfreiwillig und im offenen Streit die Gruppe, dann führt das vollkommen berechtigt zu einer Phase, in der die Wut über die Ablehnung und den Missbrauch vorherrscht.

Ich habe Mitleid mit allen Beteiligten und bin betroffen von den Ereignissen. Dennoch ist der Amoklauf die logische Fortsetzung oder Konsequenz der Gewalt- und Missbrauchs-Methoden, die innerhalb der Gruppe vorherrschen!

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