Im Anschluss an narzisstischen Missbrauch tragen wir in der Regel eine ganze Batterie von negativen Emotionen und Überzeugungen mit uns herum. Das ist nicht verwunderlich, waren wir doch eine Zeitlang ein gut funktionierender seelischer Mülleimer für die narzisstisch gestörte Person. Therapeutisches Schreiben zielt darauf ab, eine Befreiung von diesen belastenden negativen Gedanken und Gefühlen zu erreichen und das Erlebte neu einzuordnen.

Im Gegensatz zur Psychotherapie, die von einem Therapeuten begleitet wird und schwere Traumata behandelt, ist das therapeutische Schreiben für psychisch stabile Menschen gedacht, die bestimmte negative Erfahrungen verarbeiten möchten. Durch das Scheiben kannst du diese Erfahrungen in gesunder Distanz gedanklich ordnen, ausdrücken und besser verstehen.

Der Schreibprozess ermöglicht eine intensive Auseinandersetzung mit Erlebnissen und bietet dabei auch einen ganz persönlichen Schutzraum. Das Ziel des therapeutischen Schreibens ist es, das Innerste zum Ausdruck zu bringen und die Welt verständlicher zu machen, Distanz zu den Ereignissen zu gewinnen und diese zu reflektieren. Dieser Prozess ermöglicht es, neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Seele und Verstand werden befreit. Du kannst wieder Kraft schöpfen, um dich auf das Leben in all seinen Facetten einzulassen.

Schreiben als Prozess der Selbsterkenntnis

Freiheit und Spontaneität sind beim therapeutischen Schreiben das A und O. Lasse dich nicht – wieder einmal – durch Regeln oder Vorgaben einschränken und achte nur auf dich selbst. Erlaube dir, spontanen Gedanken und Gefühlen zu folgen und diese in Worte zu fassen, die für dich stimmig sind. Vorkenntnisse brauchst du nicht.

Du kannst dir zum Beispiel ein unangenehmes Ereignis vornehmen und versuchen, dieses zu beschreiben. Dabei achtest du auf deine Gefühle, auf Worte, die ausgedrückt werden wollen, aber auch auf innere Widerstände. Welche Erkenntnisse gewinnst du daraus?

Möglicherweise kannst du bereits einen roten Faden erkennen – eine Haltung zum Leben, eine Art, Dinge zu betrachten und zu bewerten, die typisch für dich sind. Oder einen, der sich durch das Ereignis, das dich immer wieder beschäftigt, kontinuierlich zieht. Ich gratuliere dir dazu: Der Prozess des therapeutischen Schreibens hat bereits seine Wirkung entfaltet.

Es liegt in der Natur der Sache, dass du beim therapeutischen Schreiben traurige und verletzende Erfahrungen aufarbeitest. Doch auch das Schöne, das, was das Leben hell und freundlich macht, soll zu Wort kommen dürfen.

Schreiben als künstlerischer Prozess

Beim therapeutischen Schreiben finden die üblichen Maßstäbe, die an literarisches Schreiben gestellt werden, keine Anwendung. Nichtsdestotrotz trainierst du deine Schreibfähigkeit, kannst du deine Ergebnisse sammeln und eventuell an anderer Stelle künstlerisch weiterverarbeiten. Deiner Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Auch ich habe schon autobiografische Erlebnisse und Erinnerungen in literarischen Geschichten verarbeitet und so zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Der Nutzen des therapeutischen Schreibens liegt jedoch an dieser Stelle ganz klar auf dem positiven Einfluss auf unser Leben. Wir können uns von belastenden Erinnerungen befreien – ganz in unserem eigenen Tempo. Gleichzeitig – und das ist vor allem bei Überlebenden von narzisstischem Missbrauch ausgesprochen wichtig – können wir unsere Sichtweise auf die Dinge überprüfen und neu bewerten. Wir kommen auch an Themen heran, die wir nicht sehen wollten, und die umso mehr Macht über unser Unterbewusstsein erlangt haben. Wir gelangen zu Erkenntnissen, die wir bislang vermieden haben. Wenn wir die Dinge benennen können, haben wir sie verstanden. Nimm diese Freiheit, die du beim Schreiben machst, in deinen Alltag auf und erlaube dir, die Dinge wieder aus deiner ganz eigenen Perspektive zu betrachten, einzuordnen und neu zu gestalten.

Das leistet therapeutisches Schreiben

Jede Übung des therapeutischen Schreibens trainiert das Bewusstsein und die Selbstbestimmung. So kommst du Schritt für Schritt wieder zurück in deine Kraft und kannst das Ruder deines Lebens wieder selbst in die Hand nehmen. Durch eine Neubewertung der Ereignisse kannst du Grübelschleifen sprengen und dich von eventuellen Schuld- und Schamgefühlen befreien. Du bekommst neue Antworten und einen neuen Blickwinkel auf die Siutation. Dabei bist du völlig frei. Du kannst das Geschehene aus verschiedenen Perspektiven betrachten, die Ereignisse verdichten, verändern, beschleunigen, verlangsamen, mit den Geschehnissen spielen, so lange, bis sie dich nicht mehr belasten. So kannst du die Erfahrungen neu bewerten und in dein Leben integrieren. Selbst lange verdrängte Erlebnisse – können so behutsam wieder an die Oberfläche geholt, neu geordnet und endlich als vergangen begriffen und losgelassen werden. In der Psychologie bezeichnet man dies als Katharsis – sie kann kurz schmerzhaft sein, ist dann jedoch etwas ausgesprochen Befreiendes, das dir neue Energie für dein zukünftiges Leben gibt.

Nun kannst du deine Geschichte neu erzählen und einen kraftvollen Schlusspunkt hinter das Erlebte setzen. Der Blick wird frei für das Leben, das vor dir liegt. Du bist wieder der Protagonist oder die Protagonistin in deinem eigenen Leben.

Ich wünsche dir ganz viel Erfolg.